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Sonntag, 2. Juli 2017

Buchvorstellung: Cheetah Manor - Das Erbe

Bei Amazon

"Jede Frau hat ihren Preis. Ich werde deinen herausfinden und dafür sorgen, dass du Cheetah Manor so schnell wie möglich wieder verlässt.“
Sarahs Leben bricht zusammen, als ihr Bruder Alex und ihr Ehemann Brain Morgan ums Leben kommen. Kurz darauf steht ein Anwalt aus Louisiana vor ihrer Tür, der ihr eine Verzichtserklärung für ihr Erbe unter die Nase hält. Um ihr Haus in München halten zu können, will Sarah das Erbe antreten und fliegt nach Louisiana. Dort erwartet sie nicht nur eine bezaubernde Baumwollplantage im Südstaatenstil, sondern auch Darren, Brains Bruder, der alles daransetzt, sie wieder loszuwerden. Als sie einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur kommt, wird ihr von unerwarteter Seite Hilfe angeboten. Wird Sarah auf das Angebot eingehen oder ist es besser, Cheetah Manor für immer zu verlassen?






Prolog


„Er hat was?“ Völlig entgeistert starrte Darren Morgan seinen Anwalt, Vertrauten und besten Freund an.
„Brain war verheiratet.“ Ethans Stimme klang ruhig, aber Darren nahm das leichte Beben darin wahr. „Eine Deutsche.“
„Das ist nicht möglich.“
„Wie es scheint, schon.“
Darren schüttelte ungläubig den Kopf. Sein Bruder hatte sich nie groß für das andere Geschlecht interessiert, aber er musste zugeben, dass ihr letztes Treffen schon ein paar Jahre her war. „Was ist das für eine Frau?“
Ethan blätterte in den Unterlagen, die er mitgebracht hatte. „Dr. Sarah Beck. Sie arbeitet in der Notaufnahme in München. Klinikum Schwabing. Im selben Krankenhaus war dein Bruder als Facharzt tätig.“
Darren hob eine Augenbraue. Immer noch war ihm völlig unbegreiflich, wie es Brain gelungen war, seinen Aufenthaltsort so lange zu verschleiern. Dass er seit Jahren in Deutschland lebte, war ihm bekannt, denn schließlich floss regelmäßig Geld dorthin. Von Brains Medizinstudium wusste er ebenfalls, auch wenn er sich seinen Bruder nicht als praktizierenden Arzt vorstellen konnte. Aber heiraten? Brain war kein Familienmensch, er war immer ein Außenseiter gewesen. Nun sollte er tatsächlich der Erste von ihnen sein, der den Bund fürs Leben geschlossen hatte. Was mochte das für eine Frau sein, der es gelungen war, seinem Bruder Ketten anzulegen?
„Kann man das Erbe anfechten?“
Ethan schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich vermute, damit werden wir sowohl vor den deutschen als auch vor den amerikanischen Gerichten kaum eine Chance haben.“
Darren presste die Lippen fest zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Das durfte einfach nicht wahr sein.
„Ich werde die Frau aufsuchen, der zwanzig Prozent meiner Plantage gehören sollen. Unsere Familie hat zu hart für Cheetah Manor gearbeitet, als dass ich tatenlos zusehe, wie ein deutsches Modepüppchen alles kaputtmacht.“ Darren erhob sich und umrundete seinen Schreibtisch. Mit langen Schritten durchquerte er den Raum, bis Ethan ihm den Weg zur Tür versperrte.
„Du kannst unmöglich weg! Die Erntezeit hat begonnen. Cheetah Manor und das Dorf brauchen dich.“
Darren funkelte seinen Freund zornig an. Ihm fiel jedoch keine Erwiderung ein, denn er musste  sich eingestehen, dass Ethan recht hatte.
„Ich werde nach Deutschland fliegen“, verkündete sein Freund in diesem Moment. „Als dein Anwalt kann ich dich problemlos in allen Belangen vertreten.“
Darren nickte verhalten. Es missfiel ihm, Ethan ziehen zu lassen, aber er wusste, dass sein Platz in dieser schweren Zeit hier war – auf Cheetah Manor. Er konnte Ethan vorbehaltlos vertrauen.
„Geh und finde heraus, was für eine Frau das ist und wie viel sie für ihre Anteile an der Plantage verlangt. Ich möchte nicht, dass auch nur ein Prozent in fremde Hände fällt. Wir sind ein Familienunternehmen und das werden wir bleiben.“
„Ich werde mein Möglichstes tun, auch wenn ich nicht glaube, dass sie eine Verzichtserklärung unterschreiben wird“, versprach Ethan.
Mit einem Kopfnicken entließ Darren seinen Freund, tigerte zurück zum Schreibtisch und ließ sich in den Sessel fallen. Für einen Whiskey war es noch zu früh. Er musste gleich los auf die Felder und dafür brauchte er einen klaren Kopf. Die Erntezeit war immer stressig, und auch wenn er es nicht mehr nötig hatte, selbst Hand anzulegen, schaute er doch regelmäßig vorbei.
Die Unruhe, die ihn ergriffen hatte, ließ sich einfach nicht abschütteln. Sie hatten Brain gefunden? Darren schloss für einen Moment die Augen und ließ das Gefühl des Verlusts in sich zu, ehe er es sorgfältig im hintersten Winkel seines Selbst verbarg. Er konnte es sich nicht leisten, um Brain zu trauern, er musste dafür sorgen, dass diese Frau seine Familie nicht ruinierte. Und er musste die Leute im Dorf beschwichtigen.
Darren erhob sich, warf noch einen bedauernden Blick auf den Schrank, in dem sich der Whiskey befand, und griff nach seinem Hut, ehe er sich auf den Weg zu den Feldern machte.

Kapitel 1

Das Wochenende war stressig gewesen. Sarah hatte in der Notaufnahme Dienst und dabei keine ruhige Minute gehabt. Aber das war gut so. Die Arbeit lenkte sie wenigstens ab, und so redete sie sich ein, dass alles wie immer war. Ihr graute davor, in das stille Haus zurückzukehren und zu wissen, dass Alex tot war. Noch immer konnte sie es nicht fassen. Seit sie denken konnte, war er immer da gewesen. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatten sie zumindest einander gehabt. Sie hatten es immer geschafft – irgendwie. Ihr Bruder hatte als Rettungssanitäter gearbeitet und dadurch nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Ausbildung finanziert. Dann trat Brain in Alex’ Leben. Sarah mochte den blonden jungen Arzt auf Anhieb. Er kam genau zur richtigen Zeit, griff ihnen finanziell unter die Arme und bezahlte das dringend benötigte Dach. So war es selbstverständlich, dass Brain zu ihnen zog. Sarah bewohnte zwei Zimmer im oberen Stockwerk, Alex und Brain im Erdgeschoss. Küche, Ess- und Wohnbereich teilten sie sich. Ohnehin hatten sie viel gemeinsam gemacht.
Sarah parkte das Auto und stieg aus. Mechanisch holte sie die Einkäufe aus dem Kofferraum und angelte nach dem Schlüssel. Es war still, als sie das Haus betrat. Und doch wirkte es so, als würden Alex und Brain jeden Moment zurückkehren. Sarah musste sich einfach nur vorstellen, dass sie im Krankenhaus waren oder auf einem ihrer vielen Streifzüge in den Bergen. Eine leise Stimme redete ihr ein, dass sie sich den Trugbildern hingeben konnte, doch sie wusste es besser. Routiniert räumte sie die Einkäufe in den Kühlschrank. Es fühlte sich noch immer unwirklich an zu wissen, dass sie hier nun allein wohnte. In der Ferne ertönte das Martinshorn eines Krankenwagens und ihr gefiel die Vorstellung, dass Alex dort mitfuhr.
Da sie keine Lust hatte zu kochen und es ihr ohnehin an Appetit fehlte, griff sie nach einem Joghurt und setzte sich aufs Sofa. Hier fühlte sie sich Alex näher als oben in ihren Zimmern. Die Leere und Einsamkeit erdrückten sie. Sarah hielt die Stille einfach nicht mehr aus. Kurzerhand schaltete sie den Fernseher ein und zappte sich durch das spätnachmittägliche Programm.
Das Klingeln an der Tür schreckte sie auf. Verwundert schaltete Sarah den Fernseher stumm, um nachzuschauen, wer dort war.
„Ja, bitte?“, meldete sie sich über die Türsprechanlage.
„Mrs. Beck? Mein Name ist Ethan Washington aus Louisiana.“ Der Südstaatenakzent, den sie bei Brain so gemocht hatte, war nicht zu überhören.
War er ein Bekannter von Brain? Ein Freund? Familie? Sarah schluckte. „Brain ist nicht da“, erklärte sie heiser. Sie wusste nicht, wie sie dem Mann sagen sollte, dass Brain nie wieder zurückkommen würde.
„Das weiß ich. Ich bin wegen Ihnen gekommen.“
„Wegen mir?“, fragte sie verwundert.
„Sie sind doch Sarah Beck, die Ehefrau von Brain Morgan?“
Sie seufzte. „Ja“, gab sie schließlich Auskunft. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sarah mochte es nicht, wenn man von ihr als Brains Ehefrau sprach. Das war sie schließlich nur auf dem Papier gewesen. Vor drei Jahren, nach Brains Ausbildung zum Facharzt, hätte er wieder zurück in die Staaten gehen müssen. Er wollte das nicht, obwohl Alex sogar mitgegangen wäre. Sarah hätte es nicht ertragen, ihren Bruder zu verlieren, und so kam die Idee auf, dass sie und Brain heirateten. Einen homosexuellen Lebenspartner hätte Brains konservative Familie nicht gutgeheißen, eine angehende Ärztin dagegen schien akzeptabel. Es war keine große Sache gewesen. Sie gingen zum Standesamt, unterschrieben die Urkunde und besuchten anschließend ein nobles Restaurant. Sarah hatte sich entschieden, ihren Namen zu behalten, und so änderte sich nichts – außer dass sie in eine andere Steuerklasse fiel und beim Ausfüllen von Formularen verheiratet angeben musste. Hin und wieder legte Brain ihr einige Papiere zum Unterschreiben vor, was sie, ohne zu lesen, tat. Brain und Alex hatten sich um die finanziellen Belange gekümmert, während sich Sarah voll und ganz auf ihr zweites Staatsexamen konzentriert hatte, das sie dann auch mit Bravour bestanden hatte.
„Mrs. Beck, wäre es vielleicht möglich, dass Sie mich kurz hineinbitten?“, holte sie die Stimme des Fremden zurück in die Gegenwart.
„Natürlich“, murmelte Sarah und drückte den Summer.
Sie war neugierig, wer den Weg aus Louisiana auf sich genommen hatte, um mit ihr zu sprechen. Von Brains Familie hatte sie bisher niemanden kennengelernt. Brain war ohnehin sehr schweigsam gewesen, wenn es um sein Leben in den Staaten ging.
Erstaunt sah sie den Mann an, der nun vor ihr stand. Ethan Washington war Afroamerikaner, die Haut so dunkel wie Schokolade. Seine Augen und die helleren Lippen stachen hervor. Er war groß, überragte sie locker um einen Kopf. Sein Alter konnte sie schwer schätzen, aber viel älter als Ende dreißig konnte er nicht sein. Er trug einen perfekt sitzenden Anzug und kam mit geschmeidigen Schritten auf sie zu.
Sarah musste sich zwingen, nicht zurückzuweichen.
„Ethan Washington, Anwalt der Familie Morgan“, stellte er sich mit einem festen Händedruck vor.
Sarah glaubte für einen Moment, ihr Herz würde stehen bleiben. Warum schickte Brains Familie einen Anwalt? Sie hatte nichts getan und wollte auch nichts von ihnen.
„Bitte folgen Sie mir“, bat sie und drehte sich schnell um, damit er ihre Unsicherheit nicht bemerkte. Sie deutete auf den Esstisch, an dem Brain, Alex und sie so oft zusammen gegessen hatten. „Bitte.“ Sie machte eine einladende Handbewegung Richtung Tisch und eilte dann zum Fernseher hinüber, um diesen auszuschalten. Den angefangenen Joghurt stellte sie auf den Küchentresen.
Mit zwei Gläsern und einer Wasserkaraffe ging sie zum Tisch und setzte sich.
„Möchten Sie etwas trinken?“, fragte sie angespannt. Noch immer konnte sie sich nicht erklären, was dieser Anwalt von ihr wollte. Brain hatte ziemlich viel Geld in die Renovierung dieses Hauses gesteckt. Wollte Brains Familie das Geld zurückfordern?
„Nein danke“, sagte der Anwalt, holte einige Schriftstücke aus seiner Aktentasche und breitete sie vor sich auf dem Tisch aus.
„Zuerst möchte ich Ihnen mein Beileid aussprechen über den Verlust Ihres Mannes.“
Abwesend nickte Sarah. Sie hatte Brain nicht geliebt, er war ein Freund gewesen und es tat weh, dass er nicht mehr da war. Die Leere, die ihr Bruder in ihrem Herzen hinterlassen hatte, war ein viel tieferer Schmerz.
„Danke“, murmelte sie und hoffte, ihre Unsicherheit kaschieren zu können.
„Darf ich Sie bitten, mir einen Ausweis zu zeigen, damit ich sicher sein kann, dass Sie wirklich Brains Witwe sind?“
Das alles hörte sich so fremd an, so vollkommen absurd.
„Ich bin nicht sicher, ob das nötig ist …“, murmelte Sarah, holte tief Luft und unterbrach sich dann. Was, wenn er wirklich Geld von ihr zurückforderte? Natürlich hatte sie in den letzten zwei Jahren eine kleine Menge an Erspartem zur Seite legen können, aber das würde kaum genügen, um das zu begleichen, was Brain in das Haus gesteckt hatte.
„Ich bestehe darauf, Mrs. Beck.“
Sarah presste die Lippen aufeinander, erhob sich und holte aus ihrem Geldbeutel die Ausweiskarte.
„Ich weiß nicht genau, was Sie von mir wollen. Ich hatte nie Kontakt zu Brains Familie. Wenn Sie möchten, packe ich Ihnen gerne Brains persönliche Sachen zusammen und Sie können sie mitnehmen.“ Es war ein letzter verzweifelter Versuch, den Anwalt möglichst schnell loszuwerden.
Ethan Washington sah sie einen Augenblick verwundert an. Dann verschloss sich seine Miene. „Ich bin ein langjähriger Freund der Familie. Ich habe Brain länger gekannt als Sie.“ Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit.
Sarahs Hals zog sich zusammen, als sie an den Moment dachte, als zwei Polizeibeamte vor der Tür gestanden und um Einlass gebeten hatten. Sie wusste sofort, dass etwas geschehen war. Als sie ihr dann von dem Tod ihres Bruders und Brains erzählten, geriet Sarahs Welt vollkommen aus den Fugen. Sie war hart im Nehmen und durch ihre Arbeit in der Notaufnahme viel gewohnt. Doch die Bilder der zerschmetterten Körper der beiden Männer hatten sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt. Unter Tränen hatte sie Alex’ und Brains Identität bestätigt.
„Für die Familie ist es schlimm genug, dass er ums Leben kam. Keiner von ihnen hat Interesse daran, Sie näher kennenzulernen.“
Seine Worte versetzten ihr einen Stich. Auch sie wollte Brains Familie nicht sehen, aber es so ungeschönt gesagt zu bekommen, tat trotzdem weh.
„Wir können das Ganze ziemlich flott hinter uns bringen. Ich brauche nur eine Unterschrift, dass Sie auf das Erbe, das Ihnen als Witwe zusteht, verzichten.“
„Ich will kein Erbe“, stieß sie wütend hervor. Was bildete sich dieser Anwalt eigentlich ein? „Wenn ich Ihnen diesen Wisch unterschreibe, verschwinden Sie und Brains Familie für immer aus meinem Leben?“
„Selbstverständlich.“
Sarah griff nach dem Kugelschreiber, den ihr der Anwalt reichte. Er blätterte eines der Dokumente auf und hielt es ihr hin. Sie setzte den Stift an und zögerte. Was war mit ihrem Elternhaus? Das Einzige, was ihre Mutter ihr hinterlassen hatte?
„Was geschieht mit diesem Haus hier?“, wollte Sarah wissen.
„Wie meinen Sie das?“
„Es gehört seit Jahren meiner Familie. Brain hat die letzten Reparaturen finanziert. Ich möchte es nicht verlieren. Es ist alles, was von meiner Familie geblieben ist.“
„Ich denke, das dürfte kein Problem sein“, erklärte ihr der Anwalt. „Ich kenne natürlich die Rechtslage hier in Deutschland nicht, kann Ihnen aber versichern, dass die Familie Morgan keinen Anspruch auf dieses Grundstück geltend machen würde.“
Sarah legte den Stift zur Seite, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie denken? Es tut mir leid, aber das ist mir zu wenig.“
Der Anwalt seufzte, zog die Papiere zu sich heran und machte eine handschriftliche Notiz.
„Sehen Sie, ich habe es ergänzt.“ Er schob ihr das Dokument zu.
Unsicher betrachtete Sarah den handschriftlichen Abschnitt. War dieser tatsächlich rechtskräftig? Sie konnte es sich nicht leisten, das Haus zu verlieren. Eine Mietwohnung in Krankenhausnähe überstieg ihre finanziellen Mittel. Davon abgesehen hingen so viele Erinnerungen an diesem Haus.
„Ich werde einen deutschen Anwalt hinzuziehen“, sagte sie entschieden.
Ihr Gegenüber kniff die Augen zusammen und musterte sie. „Selbstverständlich“, murmelte er. Das Lächeln auf seinen Lippen war nicht echt, als er ihr zunickte. „Das ist natürlich Ihr gutes Recht.“ Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie ihr. „Hinten steht die Telefonnummer meines Hotels. Sie können mich dort zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichen. Am Freitag werde ich zurückfliegen. Es wäre gut, wenn ich bis dahin die Unterlagen hätte.“
Sarah starrte auf die Visitenkarte.
Der Anwalt erhob sich und Sarah machte Anstalten, es ihm gleichzutun. „Machen Sie sich keine Umstände. Ich finde allein hinaus.“
Die Tür fiel ins Schloss, und Sarah war wieder allein. Noch immer saß sie da und konnte den Blick nicht von der Visitenkarte wenden. Es musste aufhören. Wieso konnte sie nicht einfach nur die Augen öffnen und aufwachen? Sie wollte, dass Alex und Brain zurückkamen. Tränen liefen ihr über die Wangen und sie erkannte nur noch verschwommen die Umrisse der Karte. Zorn ergriff sie. Wut auf Alex, der einfach gegangen war und sie vollkommen allein zurückgelassen hatte. Warum war das Leben so grausam zu ihr? Warum nur hatten die beiden abstürzen müssen? Sie waren so oft in den Bergen unterwegs gewesen, hatten sich in der Wildnis ausgekannt.
Mit dem Ärmel wischte sie sich über die tränennassen Augen und schniefte noch ein paarmal, ehe sie sich zusammenriss. Entschlossen griff sie zum Telefon und rief ihre Freundin Emily an, die als Assistentin der Geschäftsleitung im Klinikum tätig war.
„Sarah, schön, dass du dich meldest“, begrüßte die Freundin sie.
„Emily.“ Sarah seufzte. „Ich brauche deine Hilfe. Kannst du mir einen guten Anwalt empfehlen?“
„Einen Anwalt?“, wiederholte ihre Freundin erschrocken.
„Nach dem Tod von Brain und Alex muss ich ein paar Dinge klären“, gab Sarah vage Auskunft. Dass sie mit Brain verheiratet war, war kein Geheimnis. Wie ihre seltsame Ehe jedoch zustande gekommen war, wussten nur wenige. Emily war eine davon.
„Natürlich.“ Blätterrascheln war am anderen Ende der Leitung zu hören. „Ich schicke dir die Kontaktdaten der Kanzlei, mit der das Klinikum zusammenarbeitet. Die haben für alle Bereiche eine Fachabteilung.“
„Vielen Dank, Emily.“
„Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?“
Sarah blickte sich in der leeren Wohnung um. Das Herz wurde ihr schwer. „Nein, vermutlich nicht. Mit dem Rest muss ich allein klarkommen.“
„Du weißt, wenn ich etwas für dich tun kann …“ Emily musste den Satz nicht vollenden.
„Ja, danke. Bis die Tage.“
„Bis bald.“
Sarah legte auf, wartete nicht, bis Emily ihr die versprochenen Kontaktdaten zusandte, sondern eilte in das Nebenzimmer, das Alex und Brain als Büro genutzt hatten. Die Ordner waren fein säuberlich beschriftet, und Sarah zog jene, die ihr wichtig erschienen, heraus. Sie setzte sich an den Schreibtisch und begann sie durchzublättern.
Sarah begriff nur die Hälfte von dem, was dort stand. Nach drei Stunden gab sie entnervt auf. Wenn sie die Zahlen richtig deutete, konnte sie sich dieses Haus in München absolut nicht leisten. Bisher hatte Brain immer eine großzügige Summe beigesteuert, und wenn diese wegfiel, musste sie das Haus verkaufen.
Frustriert klappte sie den Ordner zu und ging zurück in den Wohnbereich. Die Papiere für ihre Verzichtserklärung lagen noch immer auf dem Tisch, daneben ihr Handy. Entschlossen griff sie danach. Sie hoffte inständig, dass ihr der von Emily empfohlene Anwalt helfen konnte, das Chaos zu sortieren. Sie musste dieses Haus behalten und hoffte, dass der Anwalt ihr sagen konnte, wie.

Kapitel 2

Nach einer turbulenten Schicht in der Notaufnahme – es hatte einen schweren Verkehrsunfall gegeben und Sarah hatte verzweifelt drei Stunden um das Leben eines Kindes gekämpft und schließlich verloren – hatte sie sich auf den Weg zur Anwaltskanzlei Krieger und Partner gemacht. Eine tüchtige Assistentin hatte sie zu Herrn Reichwald geführt, einem älteren Herrn mit schütterem Haupthaar und einer dicken Hornbrille.
„Bitte nehmen Sie Platz, Frau Beck. Möchten Sie etwas trinken?“
Sie schüttelte den Kopf und brannte darauf, endlich zu erfahren, wie es um ihr Haus stand. Schon vor zwei Tagen hatte sie sämtliche Unterlagen, die sie gefunden hatte, hergebracht.
„Gut, dann fangen wir an.“ Herr Reichwald ordnete die Stifte auf dem Schreibtisch, blickte Sarah an und begann dann zu erzählen. „Auf Ihren Wunsch hin habe ich alles überprüfen lassen. Es ist tatsächlich so, dass eine größere Hypothek auf dem Haus liegt, die in den letzten Jahren ausnahmslos Ihr Mann abbezahlt hat.“
Sarah war erstaunt. Woher hatte Brain so viel Geld? Klar, als Facharzt verdiente er deutlich mehr als sie, aber …
„Ich habe ein wenig recherchiert“, unterbrach Herr Reichwald ihre Gedanken. „Die Familie Morgan besitzt in der Nähe von New Orleans eine riesige Baumwollplantage. Ihr Mann gehörte einer der größten Baumwolldynastien in den Südstaaten an.“
Sarahs Augen wurden groß. Mit so etwas hatte sie absolut nicht gerechnet.
Der Anwalt reichte ihr eine Mappe. Neugierig öffnete Sarah diese und erstarrte, als Brain sie von einem Foto anblickte. Er mochte etwas jünger sein, die Haare kürzer als zuletzt, aber eindeutig Brain. Eine Verwechslung war ausgeschlossen. Sie überflog die erste Seite. Brain Samuel Morgan war in Louisiana geboren. Sein Vater Wayne Morgan, war 2005 bei dem großen Hurrikan in New Orleans ums Leben gekommen. Brains Mutter Moira und sein ältester Bruder wohnten auf Cheetah Manor, während sein anderer Bruder in Cheetahville und seine Schwester in New Orleans lebte. Der Familie gehörte eine riesige Baumwollplantage mit angeschlossener Weberei, die sehr begehrte Bio-Baumwollstoffe herstellte.
„Hat Ihr Mann ein Testament verfasst?“, wollte der Anwalt wissen.
Sarah blickte flüchtig zu ihm auf. „Nicht dass ich wüsste.“ Sie blätterte in der Mappe. Eine Liste mit den Schulen, die Brain besucht hatte, sowie den Stationen seiner Ausbildung fiel ihr in die Hände. Auf der nächsten Seite fand sie Kontoauszüge. Regelmäßig hatte Brain aus Louisiana Geld bezogen. Was sie jedoch erschreckte, war die Höhe der Summe.
„Wie ich den Unterlagen entnehmen konnte, haben Sie keine Kinder. Laut deutschem Recht würde das Erbe zwischen Ihnen, Ihrer Schwiegermutter und den Geschwistern Ihres Mannes aufgeteilt werden. Da Ihr Mann allerdings Amerikaner ist, kann ich Sie nur an einen Kollegen aus Louisiana verweisen. Fest steht allerdings, dass Sie etwas bekommen werden.“
Verständnislos blickte Sarah ihn an. „Was soll ich erben?“
Herr Reichwald lächelte milde. „Sie, Frau Beck, bekommen den Jackpot, wenn man es so formulieren kann.“
Sarahs Herz schlug schneller.
„Soweit ich mir einen Überblick verschaffen konnte, gehört Ihnen mit Antreten des Erbes ein Teil der Baumwollplantage sowie der Weberei und ein nicht zu verachtender Anteil an Fonds und diversen Bankkonten. Wie aus den Papieren ersichtlich, erhielt Ihr Mann einen regelmäßigen Betrag, der zukünftig zu Ihrer Verfügung steht.“
Sarah schnappte nach Luft und suchte eilig das Blatt, auf dem die Zahlungen aufgelistet waren.
„Mein Gott“, murmelte sie benommen. Das konnte doch unmöglich Realität sein. Was sollte sie mit so viel Geld anfangen? Wie hatte Brain ihr das alles verschweigen können? Hatte Alex davon gewusst?
„Was ist mit meinem Haus?“
„Nun“, begann Herr Reichwald zögernd. „Wenn Sie das Erbe antreten, können Sie die Kredite problemlos ablösen.“
„Und wenn ich es ablehne?“, hakte Sarah nach.
Der Anwalt blickte sie direkt an. „Davon möchte ich Ihnen ausdrücklich abraten. Der Nachlass steht Ihnen zu. Und …“ Er schaute sie eindringlich durch seine dicke Hornbrille an. „… wenn Sie es ausschlagen, werden Sie Ihr Haus nicht halten können.“
Ein dicker Kloß bildete sich in ihrer Kehle, erschwerte ihr das Schlucken.
„Was würden Sie mir empfehlen?“, fragte Sarah beinahe flüsternd.
„Zerreißen Sie diese Dokumente.“ Er deutete auf die Papiere, die sie von Ethan Washington bekommen hatte. „Um das Erbe anzunehmen, müssen Sie nach Louisiana fliegen. Ein Erbgericht wird über den Nachlass Ihres Mannes entscheiden. Aber ich sehe keinen Grund, warum man Ihnen das, was Ihnen zusteht, verweigern sollte. Ich habe für Sie die Adresse eines guten Anwalts in New Orleans, der sich um Ihre Belange kümmern wird.“
Sarah nahm ein Blatt mit der Anschrift und der Telefonnummer des Anwalts entgegen. „Ich bin gerade etwas überfordert“, gestand sie.
„Das verstehe ich sehr gut.“ Herr Reichwald zwinkerte ihr väterlich zu. „Gehen Sie erst mal nach Hause und denken Sie in Ruhe über alles nach. Ich bin mir ganz sicher, dass Sie die richtige Entscheidung treffen werden.“
„Was passiert mit dem Erbe, wenn ich es ablehne?“, wollte Sarah wissen.
Verblüfft, dass sie so etwas überhaupt in Erwägung zog, schüttelte Herr Reichwald den Kopf. „Es wird in gleichen Teilen an die restliche Familie gehen: an die Mutter Ihres Mannes und seine Geschwister. Aber Sie spielen doch nicht ernsthaft mit diesem Gedanken?“
Sarah zuckte mit den Schultern. Das alles wuchs ihr über den Kopf. Sie wusste überhaupt nichts mehr. Was sollte sie mit einer Baumwollplantage in Louisiana? Davon hatte sie absolut keine Ahnung. Zum Schluss wurde noch von ihr erwartet, dass sie dort hinziehen und die Plantage bewirtschaften sollte. Ein absoluter Albtraum für Sarah. Sie liebte ihr Leben hier in Deutschland und ihren Job im Krankenhaus. Sie wollte nach ihrer Assistenzzeit noch ihren Facharzt machen. Außerdem plagte sie ihr schlechtes Gewissen. Wäre sie nicht nur auf dem Papier Brains Ehefrau gewesen, stünde ihr das Geld zu. Aber sie war mit Brain nie zusammen gewesen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, jetzt, nach seinem Tod, diesen Platz einzunehmen.
„Ich möchte Sie nur noch einmal darauf hinweisen, dass die Hypothek auf Ihrem Haus ziemlich hoch ist, und ich bezweifle, dass Sie die Abschlagszahlungen mit Ihrem Gehalt allein bewältigen können.  Die Lebenshaltungskosten – und das brauche ich Ihnen als gebürtige Münchnerin nicht zu sagen – sind bei uns relativ hoch.“
Sarah wollte fort. Sie musste erst in Ruhe über alles nachdenken. „Vielen Dank für Ihre Mühe.“ Sie stand auf und streckte dem Anwalt die Hand entgegen. „Ich danke Ihnen für die Auskünfte und brauche etwas Zeit, um mir alles durch den Kopf gehen zu lassen.“
Herr Reichwald verabschiedete sich steif und bot bei Rückfragen erneut seine Hilfe an. Dann rief er seine Assistentin, die sie hinausbegleitete.
In Sarahs Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Sie hatte Angst, das Haus zu verlieren. Es fühlte sich aber auch nicht richtig an, sich als Brains Frau auszugeben. Es war, als betröge sie damit ihren Bruder. Wie mochte Brains Familie sein? Warum hatte er jeglichen Kontakt zu ihnen abgebrochen? Wenn sie beschloss, nach Louisiana zu reisen, würde die Familie sie willkommen heißen?
Wenn sie jedoch ehrlich zu sich war, hatte sie bereits eine Entscheidung getroffen.










1 Kommentar:

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